Vortrag auf der Dach-Gestalttagung am 31.05.2014 in Kassel.
Ich fürchte den Tag, an dem die Technologie unsere Menschlichkeit überholt. Die Welt wird dann eine Generation von Idioten sein. Albert Einstein
Die Objektivierungsbemühungen das persönliche Erleben naturwissenschaftlich zu erfassen, führen zu einer zunehmenden Entfremdung und Einengung von subjektiven Bedeutungen und damit auch dem Erfassen von Ganzheit.
Die Wissenschaft beruft sich auf die Prinzipien der Objektivität und spricht dann von objektiven Tatsachen. Subjektives Erleben dagegen sind individuelle Meinungen, die nicht als wissenschaftlich anerkannt werden, obwohl der Zugang zur Tatsächlichkeit subjektiv ist.
In der ersten Hälfte des 1900 Jahrhundert kritisierte Husserl, dass die modernen Wissenschaften mit ihrem Anspruch, die Welt objektivistisch zu erfassen, die Fragen der Menschen nach dem Sinn des Lebens nicht mehr beantworten. Diese Tendenz hat sich bis heute noch verstärkt. Spezialisierung, Digitalisierung, Globalisierung und Atomisierung sind die Schlüsselbegriffe unserer Zeit. Sie bilden die Leitlinie für alle überkommenden Projekte und Konzepte und letztlich auch für den Umgang miteinander. Ganzheitlich erscheint als Aneinanderreihung von Einzelaspekten in den unterschiedlichsten Konzepten.
Effektivität, Qualifizierung und Zertifizierung nach spezifischen Normen wurden eingeführt, um die Wissenschaftlichkeit, Standards oder Qualität zu ermitteln.
Mit wissenschaftlichen Untersuchungen nach dem Muster der Naturwissenschaft, d.h. mit Hilfe statistischer Verfahren findet ein systematischer Reduktionismus statt, der nicht die Wirklichkeit abbildet, sondern lediglich Prognosen und Wahrscheinlichkeiten liefert, die niemals das Ganze widerspiegelt.
Dieser Reduktionismus, beziehungsweise dieser Atomismus ist die entgegengesetzte Position zur Ganzheit und Subjektivität. Durch den Reduktionismus werden ausgewählte und zusammengesetzte Elemente und ihrer Eigenschaften mittels statistischer Verfahren als objektive Ergebnis gewertet.
“Wo das rationale Subjekt seine eigenen leiblichen Empfindungen, seine sinnlichen Wahrnehmungen und sein fühlendes Werterleben der Geltung beraubt, indem es all dies zu Epiphänomen neuronaler Schaltkreisfunktionen oder zu Werkzeugen egoistisch-blinder Gensubstanzen erklärt, droht eine schleichende Entleerung der Welt von allem, was dieses Subjekt noch sinnlich ansprechen, gefühlshaft ergreifen und persönlich betreffen kann.”
Seit den 1990 er Jahren hat zwar ein Wandel von einer empirischen Forschung (empicaly supported treatments) zu den evidenzgestützt und evidenzbasierten Forschung tattgefunden. Dies hat auch in der medizinischen Forschung (EBM-evidence based medicine) begonnen. Ein wesentliches Problem ist die Übertragung von medizinischen Modellen auf Psychotherapie. Das medizinische Modell mag gut bei isolierbaren, voneinander abgrenzbaren Störungen relativ sichere Ergebnisse ermöglichen. Das Modell ist allerdings nicht auf individuelles Erleben zu übertragen und dient damit nicht der Erfassung von Ganzheit und subjektiven Tatsachen.
Es gibt inzwischen einige Verfahren (siehe) wo subjektive Aspekte in die therapeutische Forschung einfließen, allerdings um sie dann wiederum zu verobjektivierten. Davon betroffen ist auch die Gestalttherapie. “In einer Gesellschaft, in der Wahrheit mit objektiven Fakten gleichgesetzt wird, verliert das subjektive Erleben des Menschen als primären Zugang zur Wirklichkeit zunehmend an Bedeutung..” (Julmi/Scherm, 2012, S.)
Dies hat sich besonders durch das “Diktat der Qualitätssicherung” (Grawe) verstärkt. Was Qualität im therapeutischen Bereich bedeutend ist, wird besonders an der Verhaltenstherapie und deren Sypmtomorientierung oder an standardisierten Manualen und Fragebögen nachzuvollziehen.
Einzelne ausgewählte Qualitätsmerkmale beeinflussen mit den von der Naturwissenschaft legitimierte Ergebnisse mehr und mehr unserer Lebenswelt. Das hat auch Auswirkungen auf die Art und Weise wie Menschen miteinander in Kontakt treten, behandelt, gemanagt und bewertet werden. Personale, soziale und ökologische Raster werden gebildet. Dies findet sich dann auch in psychotherapeutischen Techniken wieder. Schabblonenartig werden oft Programme und Techniken, wie die 5 Säulen der Identität, das innere Kind, Achtsamkeitsübungen, u.s.w. , systematisch angewendet, ohne das unmittelbare Betroffensein, die subjektiven Tatsachen, im hier und jetzt herauszuarbeiten.
Für mich stellt sich daher die Frage inwieweit der Gestaltansatz ihrem Anspruch nach Ganzheit und existentiellen subjektiven Tatsachen und dem Sinn des Lebens gerecht wird oder wohin sie sich entwickeln wird.